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16.11.2015 11:32

XENON1T: Startschuss für die Suche nach Dunkler Materie

Im Universum gibt es fünf Mal mehr dunkle Materie als „normale Materie“, welche Atome und Moleküle bildet und damit das bekannte Weltall ausmacht. Dennoch ist über diese dunkle Komponente bislang nur wenig bekannt. Am 11. November 2015 hat ein internationales Team von Wissenschaftlern das neue XENON1T Experiment im Italienischen Gran Sasso Untergrundlabor eingeweiht, welches mit bislang unerreichter Empfindlichkeit nach der dunklen Materie suchen wird.


Bereits seit vielen Jahren wird mit Experimenten im Labor versucht, die dunkle Materie – einen der grundlegenden Bausteine des Universums – nachzuweisen. Bislang konnte sie allerdings nur indirekt beobachtet werden, durch ihre Gravitationskraft, die die Dynamik des Kosmos auf allen Längenskalen dominiert. Man erwartet, dass die dunkle Materie aus einem neuen, stabilen Teilchen besteht, für welches man aber noch keinen direkten experimentellen Nachweis erbringen konnte. „Wir erwarten, dass etwa 100'000 Teilchen der dunklen Materie pro Sekunde die Fläche eines Daumennagels durchqueren“, sagt Laura Baudis, Professorin an der Universität Zürich. „Da wir diese Teilchen bislang noch nicht gefunden haben, folgern wir, dass deren Reaktionswahrscheinlichkeit mit der normalen Materie unseres Detektors sehr klein sein muss. Wir brauchen also ein empfindlicheres Instrument, um derartig seltene Spuren zu finden,“ ergänzt Professor Marc Schumann von der Universität Bern. Beide sind Mitglieder der internationalen XENON Kollaboration, die 21 Forschungsgruppen aus der Schweiz, den USA, Deutschland, Italien, Frankreich, den Niederlanden, Portugal, Israel, Schweden und Abu Dhabi vereint und am Mittwoch die Einweihung ihres neuen Instruments XENON1T gefeiert hat.

Die Einweihungsfeier wurde am Italienischen Laboratori Nazionali del Gran Sasso (LNGS) begangen, einem der grössten Untergrundlabore der Welt. „Wir müssen unser Experiment tief im Berg aufbauen, wo es durch 1400 Meter Gestein von kosmischer Strahlung abgeschirmt wird“ sagt Laura Baudis, die mit Kollegen, Wissenschaftlern, Journalisten und Vertretern von Forschungsförderern und Universitäten vor Ort war. Etwa 80 Gäste konnten an einer kleinen Zeremonie direkt neben dem Experiment teilnehmen, in der 100 Meter langen, 20 Meter breiten und 18 Meter hohen Halle B des LNGS Labors. Hier wurde der neue XENON1T Detektor in einem Wassertank von fast 10m Durchmesser installiert, um ihn vor radioaktiver Strahlung zu schützen, die z.B. aus dem umgebenden Gestein ausgeht. Noch mehr Gäste folgten den einführenden Vorträgen im grossen Hörsaal des LNGS. Dort stellte Elena Aprile von der Columbia University (New York), Gründerin des XENON Projekts, die Entwicklung von XENON dar. Was vor 15 Jahren mit einem 3kg-Detektor anfing, führte schliesslich zum heutigen XENON1T Instrument – mit einer Gesamtmasse von 3.5 Tonnen.

Der Kampf gegen die Radioaktivität
Als Detektormaterial verwendet XENON1T das ultra-reine Edelgas Xenon, welches auf –95° Celsius gekühlt wird und dann in flüssiger Form vorliegt. „Um die seltenen Stösse des dunkle Materie Teilchens in unserem Detektor zu sehen, brauchen wir ein massives Instrument mit einem extrem geringen radioaktiven Hintergrund“, erklärt Marc Schumann. „Andernfalls hat man keine Chance, die richtigen Ereignisse aus den Hintergrundsignalen herauszufischen.“ Daher haben die XENON Forscher alle Materialien des Detektors sorgfältig ausgewählt und dabei sichergestellt, dass deren unvermeidbare Verunreinigung mit radioaktiven Isotopen so gering wie möglich ist und den Anforderungen des Experiments genügt. Laura Baudis erläutert: „Man muss sich vor Augen führen, dass es einfach keine Materialien ohne jegliche Radioaktivität gibt. Kleinste Verunreinigungen sind überall zu finden. In den Komponenten, aus denen wir unseren Detektor bauen, in den Wänden des Labors und auch im menschlichen Körper. Wir versuchen, diese Verunreinigungen so gering wie möglich zu halten.“ 

In ihrem Detektor messen die XENON Wissenschaftler kleinste Signale von Licht und elektrischer Ladung, um daraus Ort und Energie einer Teilchenkollision im Detektor zu bestimmen. Zusätzlich kann man auch noch unterscheiden, ob es sich eher um ein von dunkler Materie verursachtes Signal, oder doch um ein Hintergrundereignis handelt. Das Licht wird mit insgesamt 248 Photodetektoren gemessen, die sogar einzelne Photonen nachweisen können. Ein Vakuum-isolierter Doppelwand-Kryostat, quasi eine gigantische Thermoskanne, enthält das flüssige Xenon und den dunkle-Materie-Detektor. Das Verflüssigen des Xenon Gases und seine Reinigung von Fremdstoffen geschieht im dreistöckigen XENON-Gebäude, einer extravaganten Stahlkonstruktion mit komplett transparenter Glasfassade, durch die Besucher den Wissenschaftlern bei der Arbeit zuschauen können. Eine riesige Edelstahlkugel befindet sich gleich im Erdgeschoss und ist mit Rohren und Ventilen ausgestattet. „Sie kann mehr als 7.5 Tonnen Xenon in flüssiger und gasförmiger Form aufnehmen“, sagt Marc Schumann. „Dies ist zweimal mehr als wir für XENON1T benötigen, da wir in naher Zukunft ein noch grösseres und empfindlichere Experiment bauen wollen“.

Das Ziel: Dunkle Materie nachweisen
Sobald XENON1T voll funktionsfähig ist, wird es das weltweit sensitivste Experiment zur Suche nach dunkler Materie sein. „Die Einweihung kam zum idealen Zeitpunkt“ betonen die Schweizer Forscher, deren Gruppen unter anderem für das Design und den Bau des inneren XENON1T Detektors und die Lichtsensoren und deren Auslese verantwortlich sind. „Der Aufbau des Detektors ist seit ein paar Tagen beendet und wir haben bereits angefangen zu überprüfen, wie gut er funktioniert.“ Die ersten wissenschaftlichen Ergebnisse werden für Anfang 2016 erwartet, da bereits eine Woche an guten Messdaten ausreichen wird, um die Führung in diesem Forschungsgebiet zu übernehmen. Das wissenschaftliche Ziel wird nach zwei Jahren Datennahme erreicht werden. Laura Baudis sagt: „Natürlich wollen wir das dunkle Materie Teilchen entdecken. Aber selbst wenn wir nach zwei Jahren nur schwache Hinweise gefunden haben, werden wir in einer exzellenten Ausgangsposition sein, um es schliesslich nachzuweisen. Wir bereiten nämlich bereits jetzt die nächste Phase des Projekts vor.“ Laura Baudis hat dieses Projekt mit dem Namen XENONnT auf der Veranstaltung in Italien näher vorgestellt: Es wird die Sensitivität auf dunkle Materie um eine weitere Grössenordnung verbessern, und dabei in nachhaltiger Weise bereits vorhandene Infrastruktur wiederverwenden.

Weitere Informationen:
www.xenon1t.or g Die XENON Kollaboration
www.lngs.infn.it Das Untergrundlabor
www.physik.uzh.ch/groups/baudis/darkmatter Gruppe Baudis, Universität Zürich
www.lhep.unibe.ch/darkmatter/ Gruppe Schumann, Universität Bern


Kontakt:
Prof. Dr. Laura Baudis
Physik Institut, Universität Zürich
Tel. +41 44 635 5777
lbaudis@physik.uzh.ch


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